Die Macht der Wünsche | #Vision

Seit vielen Jahren unterrichte ich an der Universität zu Köln. Bei den Studierenden, die an meinen Lehraufträgen teilnehmen, beobachte ich, dass die Karriereplanungen immer dezidierter werden, die beruflichen Vorstellungen ambitioniert sind – und das ist auch gut so. Was ich jedoch auch feststelle ist, dass bei aller Planung, Absicherung und den vielen Ambitionen bei fast allen etwas auf der Strecke bleibt: Die Leidenschaft für eine Sache, eine Vision, und die sinngebende Antwort auf die Frage nach dem „Warum tue ich das alles eigentlich?“. Und das hat Folgen.

In meinem letzten Kurs hat diese Beobachtung einen kleinen Höhepunkt erreicht. Eine Studentin erzählte in der Runde, dass sie gern für ein halbes Jahr ins Ausland gehen würde. Auf die Frage aus dem Kurs, was sie davon abhalten würde, sagte sie, sie habe immer noch keine Hochschule im Ausland gefunden, die ihr in dem halben Jahr ihre Scheine anrechnen würde. Man sah ihr ihren Frust und den Druck an, unter dem sie stand – oder glaubte, zu stehen.

Ich schlug ihr daraufhin vor, sich doch erst einmal ein Land und eine Hochschule auszusuchen, auf die sie wirklich Lust hätte. Sie könne ja dann im zweiten Schritt die Scheinfrage klären – und wenn eine Anrechnung nicht möglich sei, solle sie das halbe Jahr doch einfach mal genießen, leben und Freude haben.

Anstelle der von mir gedachten Erleichterung, geriet die Studentin nun zusätzlich unter Druck, denn mein Vorschlag würde ja bedeuten, dass sie ein halbes Jahr länger studieren und damit nicht innerhalb der Regelstudienzeit fertig werden würde.

Nun muss man dazu wissen, die junge Dame war ganze 20 Jahre alt und hätte – in der Regelstudienzeit – mit 21 Jahren ihren Abschluss gemacht. Ich war – offen gestanden – sprachlos. Vor allem, als ihre Studienkommilitonen zustimmend nickten. Auch sie – alle im gleichen Alter – verspürten diesen Druck, innerhalb der Regelstudienzeit fertig werden zu müssen.

Jegliche Einwände von mir, dass sie a) mit Anfang 20 wirklich keinen zeitlichen Stress haben müssten und b) mit einem halben Jahr Studienverlängerung nun tatsächlich keinen beruflichen Nachteil hätten (im Gegenteil), stießen auf taube Ohren.

Also griff ich zu einer etwas radikaleren Methode: Ich bat sie, Zettel und Stift zur Hand zu nehmen und einen Zeitstrahl zu malen. Die Länge des Zeitstrahls sollten sie selbst bestimmen, nämlich indem sie prognostizierten, wie alt sie vermutlich werden würden. Fast alle tippten auf 80 oder 90 Jahre. Ich fragte sie dann, bis zu welchem Alter sie vermutlich werden arbeiten müssen. Pessimistisch-realistisch glaubten sie, dass sie vermutlich bis mindestens 70 arbeiten werden. Und schließlich bat ich sie, ihr jetziges Alter auf dem Zeitstrahl zu markieren sowie das Datum ihres voraussichtlichen Studienabschlusses. Zuletzt sollten sie dann ausrechnen, wie viele Jahre sie prognostiziert vermutlich würden arbeiten müssen. Die Anzahl an Jahren war erwartungsgemäß extrem hoch – für die Studierenden in dieser Deutlichkeit jedoch neu.
Als ich sie nun fragte, welche „Delle“ ein halbes Jahr auf ihrem Zeitrahl hinterlassen würden, spürte ich, wie ein echter Aha-Moment entstand. Visualisiert auf den langen Zeitraum beruflicher Tätigkeit, die noch vor ihnen liegen, ist ein halbes Jahr ein echter Fliegenschiß. Die Erleichterung war spürbar.

Verkopfte Ambitionen führen in die Sackgasse

Natürlich ist es in der schnelllebigen Zeit sinnvoll, beruflich zu planen. Ambitionen, Ziele und klare Vorstellungen sind elementare Voraussetzungen für ein erfolgreiches Berufsleben.  Jedoch führen zu verkopfte Ambitionen in die Sackgasse. Zumindest bei einem Großteil meiner Studierenden merke ich, dass Ambitionen und Ziele sehr oft nur vom Verstand geleitet werden, weil der Berufsweg „Sicherheit“ verspricht. Und diese Rechnung geht – vor allem vor dem Hintergrund der Dynamik heutiger Märkte – langfristig nicht unbedingt auf. Wenn ein Job oder eine Beförderung angenommen werden, „weil es gerade passt“, oder „weil das jetzt der nächste logische Schritt ist“, oder „weil ich nicht absagen kann, sonst fragen die mich nie wieder“, dann fehlt der Entscheidung die Leidenschafts-Komponente. Ohne Herzblut und ohne ein Brennen für eine Sache wird es in einer VUCA-gewordenen Welt auf Dauer sehr schwer, Krisen oder Veränderungen zu akzeptieren und durchzustehen.

In Krisen oder Veränderungssituationen optimistisch, visionär, euphorisch und leidenschaftlich zu bleiben, kann im schlimmsten Fall unmöglich werden, wenn die eigene Karriere vernunftgesteuert ist und Leidenschaft, Vision und eine sinngebende Antwort nach dem „Warum?“ nicht vorhanden sind. Das berufliche Sicherheitsgefühl, das auf Verstand und Logik aufgebaut war, ist schon in ruhigen Zeiten sehr labil, wenn eine tiefere Sinnhaftigkeit fehlt. In Krisenzeiten jedoch wird die fehlende Sinnkomponente als echter Mangel wahrgenommen und sorgt für Stress.

Ist man allerdings von Visionen getrieben, empfindet man wirkliche Leidenschaft für eine Sache, den Job oder auch für das Unternehmen und ergibt das tagtägliche Tun einen Sinn, dann hat man in Krisen- oder Stresszeiten genügend „Momentum“, um sich einigermaßen unbeschadet aus dem Tal der Tränen herauszuarbeiten.

Bei den Menschen mit „Momentum“ ist der Impuls, die eigene Situation zu verbessern oder sich wieder mit Leidenschaft einer Sache widmen zu können stärker, als im Sog des Chaos zu versinken, der von der Krise oder der Veränderung ausgeht.

Bei Menschen, die Leidenschaft und Emotion in ihre Arbeit integrieren, wird der Beruf zur „Berufung“. Das, was sie tagtäglich tun, ist für sie kraft- und sinngebend und Teil ihres Lebensinhalts. Das Wochenende, der nächste Urlaub oder der Ruhestand sind nicht die Möhren, die zum Durchhalten und Weitermachen motivieren, sondern sie stellen zusätzliche Phasen der Bedeutsamkeit dar.

Neurophysiologisch ist mittlerweile bewiesen, dass im Gehirn die größten Veränderungen möglich sind, wenn Emotionen ausgelöst werden. Einer beruflichen Vision liegt daher immer auch ein Wunsch zugrunde. Ein Wunsch ist das frühe Stadium des Willens und gleichzeitig dessen Motor. Ein starker Wunsch, der bedeutsam und sinnhaft ist, erfüllt drei wichtige Funktionen:

  • Er beeinflusst die Zukunft, weil er einen erstrebenswerten Zustand formuliert, den es lohnt, zu erreichen.
  • Weil es sich lohnt, diesen Zustand zu erreichen, wird die intrinsische Motivation angekurbelt.
  • Weil die intrinsische Motivation angekurbelt wird, verursacht das Erreichen des Wunsches Lust und setzt damit positive Emotionen frei.

Wünsche haben viel mit Sehnsucht zu tun. Die Sehnsuchtsforscherin Susanne Scheibe hat die berufsbezogene Sehnsucht genauer unter die Lupe genommen und festgestellt: Sehnsucht kann dazu dienen, dem Leben eine Richtung zu geben. In ihrer vergleichenden Studie zwischen insgesamt 1.000 Befragten aus Deutschland und den USA war zu erkennen, dass Personen mit starker Sehnsucht ihrem Leben eher eine Richtung gaben und besser mit Dingen umgehen konnten, die sich nicht umsetzen ließen.

Damit Wünsche nicht in eine zehrende Sehnsucht abdriften oder wir uns Wünsche auferlegen, die uns selbst überfordern, ist es notwendig, Wünsche und Sehnsüchte zu steuern. Wünsche sollten daher immer:

  • positiv formuliert sein
  • positive Emotionen und ein Lustgefühl auslösen
  • bedeutsam und sinnhaft sein
  • in erreichbare Wunschlösungen (oder Teilziele) zerlegt werden

 

Buchcover

Der Text ist in Teilen ein Auszug aus meinem Buch:

„Futability® – Wie Sie Veränderungen und Transformationen bewältigen und selbstbestimmt gestalten“

>> Bei Amazon bestellen

 

 

Dieser Blogbeitrag ist mein Beitrag zur Blogparade „Erfolgreich durchstarten“.

 

2 Kommentare

  1. Hallo Yannic,

    ja, das Vernachlässigen der eigenen Wünsche ist ein echtes Problem. Wir erliegen so oft dem Zeit-, Leistungs- und Anforderungsdruck, dass wir nicht mehr auf das hören, was uns wirklich wichtig ist.

    Insofern vielen Dank für Deine Blogparade, die mir den Aufhänger für diesen Blogbeitrag gegeben hat. Ich habe gern mitgemacht!

    Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende,
    Melanie

    Like

  2. Hey Melanie,
    vielen Dank für deinen tollen Beitrag und deine Teilnahme an meiner Blogparade.

    Die inneren Wünsche zu kennen und auch die Proaktivität zu besitzen, diese Wünsche zu verfolgen, ist mMn ebenfalls ein wichtiger Teil eines „erfolgreichen Lebens“. Wie du bereits geschrieben hast, erzeugt das Nachgehen dieser Wünsche ein leidenschaftliches „Ja“ in uns, wodurch wir die nötige Kraft besitzen, zu anderen Dingen „Nein“ zu sagen.

    Leider ist häufig so, dass wir gesellschaftlich derart konditioniert sind, dass wir unsere eigenen Wünsche vernachlässigen, um ja nicht aus der Norm herauszufallen. Dies führt zu einem verengten Blickfeld im Leben und kann uns wichtige Chancen und Entwicklung kosten.

    Liebe Grüße
    Yannic

    Like

Schreibe einen Kommentar