Interview mit Prof. Dr. Joachim Bauer: „Selbststeuerung und #Kooperation“

Joachim Bauer„Prinzip Menschlichkeit“, „Das kooperative Gen“oder auch sein aktuelles Buch „Selbststeuerung“ – Prof. Dr. Joachim Bauer ist nicht nur Arzt, Neurowissenschaftler und Psychotherapeut, sondern auch ein Autor, dessen Bücher Spaß machen zu lesen. Bauer zeigt sehr anschaulich: Wir sind Menschen, keine Maschinen. Unserer Belastungsfähigkeit sind natürliche Grenzen gesetzt, die individuell bei jedem Menschen unterschiedlich eng oder weit gefasst sind. Er bietet aus meiner Sicht sehr notwendige Einsichten in die Wirkungsweise unseres Körpers und dessen Reaktionen auf Stress und Anspannung. In einer VUCA gewordenen Welt sind seine Thesen lesenswert. Umso mehr freue ich mich, dass er sich auch für ein Interview mit mir bereit erklärt hat.

NAME: Prof. Dr. Joachim Bauer
BERUF: Arzt, Neurowissenschaftler, Psychotherapeut
Drei Wörter/Eigenschaften, die mich beschreiben: Sorgfalt, Fleiß, Humor
Meine eigene Webseite: www.psychotherapie-prof-bauer.de

Herr Prof. Bauer, in Ihrem aktuellen Buch „Selbststeuerung – die Wiederentdeckung des freien Willens“ schreiben Sie: „Mit Selbststeuerung lässt sich im Leben vieles, ohne sie nichts erreichen.“ Können Sie kurz erläutern, was Sie damit meinen?
Menschen können in ihrem Leben in zwei Grundmustern unterwegs sein: Wir können auf Autopilot fahren und uns nur von äußeren Reizen oder spontanen inneren Impulsen steuern lassen. Die andere Möglichkeit ist, innerlich mal kurz anzuhalten, einen Blick auf uns selbst zu werfen und uns zu fragen was wir wirklich wollen, was uns mittel- und langfristig wichtig ist. Nichts gegen Spontaneität! Beide Grundmuster sind OK. Worauf es ankommt, ist die Balance zwischen beiden Zuständen. Mein Eindruck ist, dass wir dabei sind, diese Balance zu verlieren.

Sie haben sich sehr intensiv mit den Auswirkungen von Stress auseinandergesetzt. Ist die Selbststeuerung ein adäquates Mittel, dem Stress vorzubeugen?
Stress heißt, unter Bedingungen leben zu müssen, unter denen andere uns Druck machen, dies oder jenes zu tun und uns dabei auch noch den Takt vorgeben, also uns unter Zeitdruck stellen.  Stress ist also eine ganz besonders unangenehme Form eines Lebens ohne Selbststeuerung. Fatal  ist, dass wir Menschen das, was uns von außen angetan wird, nach einer gewissen Zeit verinnerlichen, dass wir also anfangen uns irgendwann selbst den Stress zu machen, der uns früher nur von außen aufgedrückt worden war. Eines der Ziele guter Selbststeuerung ist es, da wieder rauszufinden.

Selbststeuerung bedeutet auch: Raus aus der Komfortzone. Oft steht einem aber genau dann der „innere Schweinehund“ im Weg. Was können wir tun, um diesen „Bequemlichkeitsimpuls“ zu überwinden?
Ich halte nichts von Selbstquälereien. Wer Selbststeuerung als ein Programm zur Selbstkasteiung missversteht, soll es lieber gleich lassen. Mein Buch soll zeigen, dass Selbststeuerung ein ziemlich attraktives Angebot ist, das viele Menschen ganz aus den Augen verloren haben. Wir spüren doch fast alle, dass wir uns in einem außengesteuerten Leben nicht mehr wohlfühlen, in dem wir uns ständig mit ungesundem Zeugs vollfuttern, täglich einen hinter die Binde kippen, uns kaum  bewegen, vor Bildschirmen rumhängen und ansonsten voll unter Stress stehen! Jetzt hier mal zu sagen: Ich möchte zurück zu mir selbst finden, mein wahres Leben leben und zu diesem Zweck auf bestimmte Dinge bewusst verzichten, das ist doch ein attraktives Programm!

Selbststeuerung klingt nach Freiheit und Autonomie. In vielen Unternehmen wird genau das jedoch nicht gefördert. Wie ist es möglich, dieses Dilemma auszuhalten?
Ja, das ist ein Dilemma. Selbststeuerung heißt nicht, dass wir uns oder unsere Umwelt neu erfinden oder uns von den Tatsachen des Lebens freimachen können. Selbststeuerung findet immer innerhalb einer realen inneren und äußeren Welt statt. Zur inneren Welt gehört die Biologie unseres Körpers und die Spuren, die Lebenserfahrungen in uns hinterlassen haben. Zur äußeren Welt gehören die Realitäten der Natur und das, was sich gesellschaftlich in einem Land entwickelt hat. Zum Projekt der Selbststeuerung gehört aber, dass wir beides –die innere und die äußere Realität- nicht einfach fatalistisch hinnehmen, sondern auf beides Einfluss nehmen!

Viele Herausforderungen der Zukunft sind nicht mehr im Alleingang zu lösen, sondern in Kooperation mit anderen. Unsere Gesellschaft ist sehr individualistisch geprägt. Kooperation scheint uns nicht in die Wiege gelegt zu sein, oder doch?
Der alte Ansatz, den uns einige Evolutionsbiologen lange Zeit verkaufen wollten und immer noch verkaufen, ist überholt. Gene sind nicht „egoistisch“, ebenso wenig ist der Menschen von Natur aus ein primär auf Konkurrenz und Überlebenskampf ausgerichtetes Wesen. Bereits Charles Darwin hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die sozialen Instinkte die stärksten Triebfedern des Menschen seien. Die moderne Neurobiologie gibt ihm darin komplett Recht. Das evolutionäre Erfolgsticket des Menschen waren Kooperation und Intelligenz. Der  kritische Punkt ist: Die modernen Überflussgesellschaften, in denen wir den Konsum zum Hauptzweck unseres Lebens gemacht haben, werfen uns zurück auf die Stufe von individualistischen Reptilien, die nur für sich selbst und nur im Moment leben, immer alles sofort haben wollen und mittel- oder langfristig weder einen Plan noch ein Ziel haben.

Stehen Kooperation und Selbststeuerung nicht im Widerspruch zueinander?
Im Gegenteil. Wer sein Menschsein auf den Zustand des ständigen Konsumierens reduziert und sich selbst – angetickt durch die modernen Medien – zur Reiz-Reaktions-Maschine macht, hat beides verloren: die Fähigkeit zur Selbststeuerung und die Fähigkeit zur Kooperation. Wir müssen kritisch hinschauen: Die modernen Medien verbinden zwar jeden mit jedem. Sie fördern Kommunikation, aber fördern sie wirklich die zwischenmenschliche Kooperation? Fördert es die Kooperation, wenn ich mir durch Text, Bild und Filmchen zehn Mal am Tag sagen lassen kann, wo meine angeblichen Freunde gerade sind und was sie  gerade tun? Was ist aus den Aufständen in Nordafrika geworden? Zuerst hieß es: Toll, die soziale Vernetzung über das Internet kann helfen, Diktaturen zu stürzen. Soweit gut! Aber was dann? Ich glaube das sind Dinge über die wir alle noch sehr gründlich miteinander nachdenken müssen!

Die Schnelllebigkeit, der wir im Arbeitsleben alle unterworfen sind, vermittelt oft das Gefühl, fremdgesteuert zu sein. Können Sie zum Abschluss drei konkrete Tipps geben, wie wir unsere Selbststeuerung im Alltag (re-)aktivieren können?
Ich beschränke mich auf einen Tipp: Lasst uns als erstes schauen, welche unnötigen Aktivitäten, Wichtigtuereien und sinnlosen Kontakte wir aus unserem Leben entsorgen können und lasst uns dann überlegen: Was sind mir für mich – auf lange Sicht – die wirklich wichtigen Dinge?

Und zum Schluss noch ein kleines Spiel. Ich sage Ihnen einen Begriff und Sie sagen mir, was Ihnen als erstes dazu durch den Kopf geht:

  • Flexibilität: Eine Modewort, mit dem man Menschen in der modernen Arbeitswelt die Sicherheit – vor allem die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes – wegnimmt.
  • Innovation: Eine feine Sache, wenn es wirklich eine ist. Meistens werden mit diesem Begriff unangenehme Veränderungen, oft auch alte Konzepte oder alte Produkte unter neuer Verpackung verkauft.
  • Anpassungsfähigkeit: Hier kommt es auf eine Balance an. Anpassung kann wichtig sein, bedeutet aber nicht, dass wir unkritisch alles hinnehmen müssen oder uns selbst verbiegen sollten.
  • Kreativität: Sie kommt in unserem Leben inzwischen überall viel zu kurz. Kreativität braucht Zeit und Muße. Eine Gesellschaft, die ständig unter Zeitdruck lebt, verliert ihre kreativen Potentiale. Leider geht der Stress heute schon im Kindesalter los.
  • Veränderung: Eine gute Sache, wenn klar ist, warum und wozu sie stattfindet, wenn alle dabei partizipieren können, wenn sie transparent abläuft und wenn sie uns – vor allem ökologisch und sozial – in die richtige Richtung führt.
  • Angst: Ein wichtiger Signalgeber (dass etwas nicht stimmt), aber kein guter Ratgeber, weil sie leicht zur Ausschaltung der Vernunft führt und außerdem die Empathiefähigkeit des Menschen reduziert.
  • Zukunft: Wir leben in einer Welt der begrenzten Ressourcen. Die Menschheit wird sich schwierigen Herausforderungen gegenüber sehen. Die Aufgabe wird sein, immer ein paar Lösungen mehr parat zu haben, als sich Probleme stellen. Um die Zukunft zu bewältigen, brauchen wir vor allem Bildung, zwischenmenschliche Verbundenheit und soziale Gerechtigkeit (die drei Dinge hängen voneinander ab).
  • Deutschland: Ein schönes Land, seit vielen Jahren viel besser als wir selbst und viele andere glauben.
  • Ich: Ein etwas einfältiger, aber vielleicht doch nicht so dummer schwäbischer Sinnspruch, der bei Verwandten von mir an der Wand hängt, lautet: „Oh, wenn nur alle Leut´ so wäret wie I sei´ sollt!“
  • Beruf: Sollte ein Sinnstifter sein, aber nicht der einzige im Leben!

 

Das Buch:

SelbststeuerungJoachim Bauer
Selbststeuerung: Die Wiederentdeckung des freien Willens
Verlag: Karl Blessing Verlag (14. April 2015)
ISBN: 978-3896675392

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2 Kommentare

  1. Liebe Hannelore,
    vielen Dank für Deine Rückmeldung. Mir geht es ähnlich – ich habe schon sehr wertvolle Aha-Momente mit den Büchern von J. Bauer gehabt. Darum freue ich mich auch so, dass er einem Interview zugestimmt hat.
    Ein Buchexemplar verlose ich heute übrigens – versuch doch mal Dein Glück ;-).

    Liebe Grüße,
    melanie

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  2. Liebe Melanie,
    vielen Dank für das tolle Interview! Joachim Bauer ist seit Langem neben Maja Storch mein „Leib und Magen“- Neurowissenschaftler. Beide haben mir wertvolle Impulse für meine Arbeit gegeben und ich kann nur zustimmen, wenn es um die wichtigsten Eigenschaften des Menschen geht (sowohl jetzt als auch für alle Zeiten): In sich selbst ruhen, mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen in Kontakt zu sein und dann nach draußen zu schauen und sich zu entscheiden, was wirklich notwendig ist und gut tut. Diese Definition von Autonomie habe ich übrigens von meiner großen Lehrmeisterin Ruth Cohn, der Begründerin der TZI adaptiert und freue mich immer noch meines selbst bestimmten Lebens! Auch meine Kunden staunen immer, wie einfach das doch eigentlich ist – Besinnung auf das Mensch-Sein in Autonomie und Interdependenz.
    Das Buch füge ich jetzt den anderen von J.Bauer in meinem Bücherschrank hinzu!
    Viele Grüße
    Hannelore Gens

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